Geschichten aus dem Alltag

Herrausforderung Behinderung

Ich gehe jeden Tag bei schönem Wetter mit meinem Sohn eine Runde Laufrad fahren. Da unser Dorf nicht besonders groß ist kommen wir meistens an den selben Menschen vorbei. 

Einer dieser Menschen ist ein Mann zwischen 30 und 40, er selber hat einige Kinder und lebt augenscheinlich nah an seinem Glauben. 

Wir sehen uns oft und halten ein bisschen Smalltalk, kennen uns nicht näher.

Und dann sagt er "Sag mal ist DAS eigentlich DEIN Kind?" 

Und ich falle fast um. 

Unglaublich. Was hat er gedacht mit wessen Kind er mich fast täglich (mehrfach) sieht?

Und das seit 3Jahren, anfangs in der Babytrage, dann auf dem Schoss und mitlerweile mal auf dem Kettkar von mir geschoben und mal mit dem Laufrad. 


Ich sage nur "ja" und lenke zum nächsten völlig banalen Thema. 


Aber es macht etwas mit mir, diese Begegnung, diese Begegnungen. 


Menschen sind eifersüchtig auf die vermeintlichen Vorteile die ich aufgrund meiner Behinderung habe. 


"Du bekommst ja Pflegegeld, da kann man sich ja einiges mehr leisten" 

Das Geld gleicht nichtmal meine Mehrkosten aus oder deckt die Kosten meiner benötigten Helfer. 


"Würde ich eine Ermäßigung wegen Behindertenausweis bekommen würde ich das auch öfter machen"

Mal gefragt wie oft ich mehr zahlen muss? 


"Ihr Behinderten bekommt ja vom Amt eh alles in den Arsch gesteckt, ich muss mein Auto immernoch selbst bezahlen" 

Ich würd mir lieber für 2000€ ein Auto an der Ecke kaufen und direkt losfahren. 


"Du bekommst ja eh immer mehr Aufmerksamkeit" 

Ja, egal ob ich will oder nicht. 


"Bei dir fühlen die Leute sich ja gezwungen 'ja' zu sagen wenn du um etwas bittest" 

Aha 🤔 


"Ständig müssen wir (bei Unternehmungen) machen was du willst"

Ähm ne, wenn WIR was machen muss es halt nur auch für mich machbar sein. 


Nur komisch . . . tauschen will keiner.


Irgendwas ist ja immer 


Ich weis noch wie mir vor ein paar Jahren ständig gesagt wurde "wenn du mir nicht sagst das es dir schlecht geht oder warum es dir schlecht geht kann ich nicht darauf reagieren und weis nicht das es daran liegt wenn du schlechte Laune hast" 


Für mich war der Grund fast nie zu erwähnen wenn ich Schmerzen hatte ganz logisch, weder wollte ich Mitleid noch als Jammerlappen dastehn und ändern konnte es ja sowieso keiner.


Aber geändert habe ich es, ich jammere nicht sondern sage wenn sich was ändert. 

Und nun heißt es "irgendwas ist ja immer. Du bist nur am jammern. Ich kann dir doch eh nicht helfen wieso sagst du mir das" 


Ich gebe ein Interview, oder eher ich soll eins geben, denn bei jeder Frage schaut der Herr (ich würde sagen Ü60) nur meinen Mann an. 

Mein Mann versucht ständig das Gespräch zurück zu mir zu leiten, versucht unbeteiligt zu wirken aber keine Chance. 


Ich bin eine blonde Frau, wenn ich in eine Autowerkstatt komme werde ich grundsätzlich nicht für voll genommen und wenn mein Mann dabei ist grundsätzlich ignoriert.

Aber dazu sitzte ich auchnoch im Rollstuhl, damit treten solche Situationen sogar beim Bäcker oder beim Arzt auf. 


Ständig kämpfen wir groß für Barrierefreiheit, Inklusion, Integration und die vielen schönen Wörter. Aber im Kopf der Menschen ist bisher wenig passiert.


Was du siehst

Zwei gelbe Säcke zum Abholen bereit gelegt. 


Was ich sehe

zwei unüberwindbare Barrieren, ein hoher Bordstein und ein blockierter Fussweg.


Ich weiß das das niemand absichtlich macht, trotzdem ist das meine Lebensrealität. Ich kam nicht vorbei und musste ewig weit zurück laufen um vom Bordstein auf die Strasse zu kommen, mein Kind musste mit. 


Ich stehe vorm Kik, im Regen.

Einer der wenigen Läden bei uns bei dem es keine selbstöffnende Tür gibt. 

Viele Leute laufen gefühlt extra weiter weg um mir nicht helfen zu müssen. Eine Frau kommt an mir vorbei und ich frage ob sie so lieb wäre mir die Tür zu öffnen. 

Sie sagt "mein Mann ist fast blind und sagt auch immer 'man ist nicht behindert, man wird behindert'" 

Ich stimme ihr zu, bedanke mich und geh rein. 

Drinnen ist alles so vollgestellt das ich nicht in den Gang zum Bastelmaterial komme, das ich mir sonst ohne Hilfe holen könnte. Ich sehe weiter hinten eine Verkäuferin aber umringt von Kartons komme ich nicht zu ihr und sie scheint mich nicht zu sehen&hören. 

Rückwärts zurück zur Kasse, die Mitarbeiterin ist sehr nett und hilft mir. Zahlen kann ich nur bar da auch hier alles vollgestellt ist. 

Was machen die eigentlich bei Feuer?


Als Rollstuhlfahrerin einen passenden Arzt zu finden ist schwer.

Nicht nur die Praxis muss für mich stufenlos erreichbar sein, die größere Schwierigkeit ist es einen Arzt zu finden der bereit dazu ist mich zu behandeln. 

Hier mal ein paar Auszüge:

Gynäkologen:

- Behinderte haben keinen Sex wozu brauchen Sie Untersuchungen/Verhütungsmittel/Beratung/Abstrich

- Ich bin dagegen das Behinderte sich vermehren, wieso sollte ich sie in ihrer Schwangerschaft begleiten

- das ist mir zu kompliziert

- das dauert mir zu lange wenn ich sie nicht normal auf dem Stuhl untersuchen kann

- sie blockieren das Zimmer zu lange

- ja die Praxis ist barrierefrei (ich wartete 3 Monate auf einen Termin und fuhr ewig weit, dann gab es 2Stufen und kein Verständnis wieso ich nicht reinkam)

Zahnarzt:

- der Rollstuhl nimmt zuviel Platz weg

- nein, da bräuchten wir für die Behandlung ja eine Arzthelferin mehr als normalerweise 

- wenn sie den Mund nicht so lange aufhalten können und Pausen brauchen ist das ja nicht unser Problem, dafür haben wir keine Zeit

- einer gab mir nach mehreren Nachfragen trotzdem ein Medikament das bei mir einen Schub auslöst und meinte danach 'kann ja mal passieren' 


Neurologe (meine Erkrankung ist neurologisch)

- damit kenn ich mich nicht aus

- das ist nur psychisch

- strengen sie sich doch mal an


Als Rollstuhlfahrerin einen passenden Arzt zu finden ist schwer.

Nicht nur Wie geht man eigentlich tanken wenn man mit Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt?


Das war tatsächlich eine meiner ersten Fragen an meinen Fahrlehrer. 

Denn ich kann den Zapfhahn nicht hochheben und selbst wenn ich das könnte käme ich nicht dran da ein Bordstein um die Zapfsäule herrum ist. und da die Autos an Tankstellen so geparkt werden müssen das kaum Platz zwischen Auto und Zapfsäule oder Auto und Nachbarauto ist käme ich weder aus dem Auto noch an meinen Tankdeckel. 


In anderen Ländern gibt es Servicemitarbeiter, zeitweise gab es die in Deutschland mal bei Shell aber die Regel ist das bei uns leider nicht. 


Ich hab das Glück das ich auf Nachfrage die Telefonnummer unserer nächstgelegenen Tankstelle bekommen habe und anrufen könnte, sodass dann jemand rauskommt und mir hilft. Ausprobiert hab ich das allerdings noch nie da ich vermute das dort durch Personalmangel auch keine Begeisterung aufkommen würde. 

Meist tanke ich voll wenn ich jemanden dabei habe und somit entsteht die Frage nicht, aber stören tut mich das schon irgendwie. 


Der Arzt sagt: "Seien Sie doch mal dankbar dafür was sie erreicht haben, das ist viel mehr als bei den meisten anderen Betroffenen. " 


Ja natürlich bin ich dankbar, jeden Tag! 

ABER 

es ist mein Leben! Ich bin nicht andere. 

Vllt habe ich mehr gekämpft, mehr ertragen, mehr durchgehalten, mehr investiert.

Vllt hatte ich auch andere Vorraussetzungen oder ein bisschen mehr Glück. 

Tatsache ist aber das es nie hilft sich mit schlechterem zu vergleichen. 


Unsichtbare Barrieren 


Die offensichtlichen Barrieren wie Treppen, schwere Türen, zu hohe Schalter, nicht unterfahrbare Geldautomaten usw sind ja wirklich schon anstrengend genug. 

Aber die unsichtbaren Barrieren, das sind die die die wirklich Nerven kosten. 


Ja ich kann telefonieren, Menschen sehen mich mit dem Handy in der Hand. Und wenn ich dann Abends schreibe "bitte nur whatsapp oder Email, keine Anrufe oder Sprachnachrichten" fühlt sich der ein oder andere vor den Kopf gestoßen. 


Aber!!! Ich habe nicht jeden Tag gleich viel Kraft, oft kann ich zb kurz telefonieren, aber wenn ich das Handy länger ans Ohr halten muss geht das nur ausgeruht in der perfekten Position. 


Oft höre ich Sätze wie:

- wenn du was willst gehts dir immer gut, wenn ich was will gehts komischerweise nie. 

(Stimmt nicht, ich verschiebe sehr oft Dinge die ich will oder tue sie nicht um für andere Kraft zu sparen. Das erwähne ich nur natürlich nicht ständig. Ausserdem umso mehr ich oder du mich unter Druck setzten umso wahrscheinlicher ist es das mein Körper zu macht)

- ich hab doch gesehen wie du telefoniert hast

(Erklärung siehe oben)

- ich hab dich doch gestern gesehn, wieso sagst du mir dann ab weils dir angeblich nicht gut geht 

(Nur weil du mich gesehn hast wie ich zB meinen Sohn vom KiGa abgeholt habe heißt das nicht das ich nicht den Rest des Tages im Bett lag nur um das zu schaffen)