Diagnose und Verlauf

Meine Mutter hat sich gewundert, wieso ich als kleines Kind so oft hingefallen bin und mich immer am Geländer hochgezogen habe, wenn ich Treppen gelaufen bin.

 

Ewig viele Arzttermine später landeten wir in der Kinderklinik Mainz und ich bekam meine Diagnose, ich war 4 Jahre alt.
Jetzt, wo ich selber Mutter bin, kann ich annähernd nachempfinden wie man sich fühlen muss, wenn die Erstgeborene als absolutes Wunschkind angeblich nicht ihre Pubertät erleben wird. Meine Mutter war wahnsinnig stark und ist mit mir zu jeder erdenklichen Therapie gefahren. Egal ob Ergotherapie, Physiotherapie, Reittherapie, Homöopathen, Fußreflexzonenmassage und ich weis nicht was noch alles war.
Aus heutiger Sicht weiß ich, dass das Ganze wenig gebracht hat und nur viel Zeit und Energie gekostet hat. Heute würde ich jeder Mama von einem SMArty (Kind mit SMA) raten, lieber mit den Kindern so viel wie möglich von der Welt zu sehen, bevor es nicht mehr geht. Aber mit den Informationen, die damals zur Verfügung standen, hat sie das Bestmögliche getan.


Nur war mir selber in dem Alter gar nicht bewusst, was los war. Als ich in die Schule kam, durfte ich nie mit dem Bus fahren, sondern wurde mit dem Taxi zur Schule gefahren. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin, "behindert" fühlte ich mich nicht. Gemerkt, dass ich "behindert" bin, habe ich erst, als ich in der dritten Klasse einen Reitunfall hatte und mein Knie gebrochen war. Wo andere Kinder nach einem Gips wieder "normal" wurden, brauchte ich auf einmal einen Rollstuhl.
Das Schöne war, dass ich auf meiner Grundschule bleiben durfte. Wenn ich auf Toilette musste half mir meine Lehrerin oder meine Mutter kam in der Pause. Während die Anderen in der Pause auf dem Schulhof spielten, suchte ich mir jeden Tag jemanden aus der Klasse aus, der mit mir drin bleiben durfte. Damals wohl eine logische Entscheidung um mich zu schützen, aus heutiger Sicht sehr schade, da ich dann wieder "anders" war.
Als die Grundschule zu Ende ging, musste nun eine neue Lösung her, was meinen schulischen Werdegang anging. Wir schauten uns ein Behinderten Gymnasium in Bendorf an. Da hat es mich mit meinen 9 Jahren wirklich geschockt auf einmal so viele "Behinderte" zu sehen, die Meisten auch viel eingeschränkter als ich.
Dann guckten wir uns die Stephan-Hawking-Schule in Neckargemünd bei Heidelberg mit angeschlossenem Internat an. Dies war eine integrative Schule und auch wenn ich in den ersten Wochen Heimweh hatte, war es die beste Entscheidung, mich dort hin gehen zu lassen. Aus der Sicht einer Mutter sicher eine herzzerreißende Entscheidung sein 10 Jähriges Kind ins Internat gehen zu lassen. Mittlerweile war ich in der Pubertät und die Prognose für meine Lebenserwartung war nun bei Mitte Zwanzig.


Nun war ich also auf einer Ganztagsschule, in der ich während dem Unterricht Physio- und Ergotherapie haben konnte. Bei einigen anderen Kindern war das genauso, ich stach nicht mehr so heraus.
Inzwischen brauchte ich eine Antriebshilfe für meinen Rollstuhl. Wo ich mich ein Jahr früher noch selber umsetzten konnte, musste ich nun umgehoben werden.
Dann stagnierte meine SMA für eine Weile, es gab nur noch kleinere Schübe. Erst mit 18 merkte ich dann wieder einen signifikanten Kraftverlust in den Füßen. Wo ich vorher noch beim Rollstuhlfahren die Füße hochhalten konnte, musste ich sie nun aufs Fußbrett stellen. Auch längere Wege fielen mir, trotz Antriebshilfe, mittlerweile sehr schwer.


Mit 19 war ich mit der Ausbildung zur Bürokauffrau fertig und meine Mutter ging davon aus, dass ich jetzt den Rest meines Lebens bei ihr wohnen würde, da ich ja Hilfe brauchte. Diese Vorstellung schockte mich nach meinem unabhängigen Internatsleben um so mehr, sodass ich mir innerhalb von 6 Wochen einen Assistenzdienst, 7 Mitarbeiterinnen, eine kleine Wohnung und die dazu benötigten Finanzierungen organisierte.
Am Anfang hatte ich nur Tagsüber Assistenz (was Assistenz genau bedeutet könnt ihr hier nachlesen) und nachts gab es eine Rufbereitschaft. Jedoch war mir relativ schnell klar, dass das keine gute Lösung war. Nach kaum einem Jahr zog ich also von der Ein-Zimmer-Wohnung in eine Zwei-Zimmer-Wohnung und hatte von nun an 24-Stunden-Assistenz. In der Zeit merkte ich auch, dass ich mich nun auf einen e-Rollstuhl einlassen musste. Ich war mittlerweile zu schwach, um den Rollstuhl draußen selber anzuschieben. Ich kämpfte ein Jahr mit der Krankenkasse! Erst als mich beim Verlassen eines Busses die Kraft verließ und ich kopfüber aus dem Bus mit dem Gesicht auf den Bordstein knallte, sah die Krankenkasse ein, dass ich den e-Rollstuhl benötigte - und genehmigte ihn endlich.
Für mich war das emotional ein wirklich schwerer Schritt. Es fühlte sich an, als wär ich von Heute auf Morgen behindert! Wie wenn man kopfüber ins Schwimmbecken springt und das nächste Mal, wenn du die Augen aufmachst, wird dir gesagt: du kannst nicht mehr laufen. 


Es hat mich viel Zeit und Kraft gekostet den richtigen E-Rolli für mich zu finden. Bis heute bin ich dankbar damals den richtigen Sanitätshausmitarbeiter an meiner Seite gehabt zu haben, er kannte mich gut und er machte seinen Job mit viel Herz.
Als nach einem Jahr dann der Quicky Jive M von Sopur (so hieß das Rollstuhlmodell) kam war ich super happy. Er war perfekt! Mit seinen Spinnenbeinchen stützte er mich ab wenn es einen Bordstein oder eine Kante hoch oder runter ging, auch kleine Stufen schaffte er.
Ich fühlte mich überraschend frei, ich konnte auf einmal mit dem Hund im Wald spazieren gehen und Schotterwege waren auch kein Problem mehr.
Überall wo es mit dem Schieberolli zu steil, holprig oder sandig war konnte ich nun sein.
Ich war so glücklich das ich spontan zum Bahnhof fuhr um meine Eltern zu besuchen. Ich kündigte mich nicht an sondern fuhr die über 200km auf gut Glück.
Als ich ankam war ich unglaublich glücklich und aufgeregt, ich fühlte mich so entfesselt dadurch das ich einfach ohne Hilfe zu ihnen fahren konnte.
Mein Vater war daheim und etwas irritiert, kurz nachdem er mich rein ließ kam meine Mutter nach Hause. Sie freute sich mich zu sehen, aber umso mehr ich begeistert von den Funktionen meines neuen Rollstuhls berichtete umso mehr musste sie ihre Tränen zurück halten.
Das war wohl ihr gefühlter Köpfer in den Pool mit bösem Erwachen.... natürlich war ihr klar das der Tag kommen würde, aber nun da ich vor ihr stand in diesem riesigen Ding von E-Rolli wurde ihr schmerzlich bewusst das der Tag da war. Mir ging es wieder schlechter und es gab kein zurück mehr.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht wie es sich für meine Geschwister angefühlt hat, vermutlich haben sie da garnicht weiter drüber nachgedacht. In der nächsten Zeit hat dieser Rollstuhl aber auch bedeutet das ich viel unabhängiger war und eben auch mehr alleine mit meinen Geschwistern unternehmen konnte, bis heute war der Quicky jive M das beste Hilfmittel meines Lebens. 

NOT the End (der Rest kommt bald)